Was ist Zen?

 
 
Zen ist ein religiöser, ein spiritueller Weg, aber keine Religion. Zen gründet zwar im Buddhismus und verbindet buddhistische Metaphysik mit taotischer Naturmystik, ist jedoch selbst transkonfessionell und transkulturell. Zen ist keine Theologie oder Philosophie, sondern eine Lebenshaltung, eine Übung, eine Methode, ein Weg zu Mehr-Mensch-Sein, zur wahren Menschlichkeit. Zen vermittelt keinen Glauben, kein Dogma, kein theoretisches Wissen, sondern einen Übungsweg zur Reinigung von Herz und Geist in Handlung und Haltung. Zen ist transrational und translogisch und damit intellektuell nicht erfassbar, sondern nur existentiell vollziehbar. Zen dient der Vorbereitung der "Großen Erfahrung", jener mystischen Wirklichkeit von Kensho (Wesensschau) oder Satori (Erleuchtung), die gemeinhin als Ziel der Zen-Übung angesprochen wird. Ein solches darf es aber eigentlich gemäß der Absichtslosigkeit und Selbstlosigkeit im Sinne der Ich-Überwindung des Zen und seiner Praxis gar nicht geben. Die "Erfahrung" kann deshalb auch nicht herbeigeführt werden – und sei es durch noch so intensives Üben. Sie ist ein Geschehnis, das dem Menschen günstigenfalls, vielleicht als "Gnade", widerfährt auf diesem Weg der Wandlung und wofür er sich durch eigenes Bemühen, eben insbesondere in der meditativen Übung des ZaZen, nur vorbereiten kann, um sich ergreifen zu lassen. Man darf diese Erfahrung nicht suchen, nicht erwarten, nicht erhoffen, man kann sich höchstens von ihr suchen – finden – erfassen lassen.

Wo diese Erfahrung in einem Menschen stattgefunden hat, da formt und prägt sie Ausdruck und Haltung, bis sie im Leben und Sein des Einzelnen vollkommen integriert und dann in seiner Erscheinung nicht mehr verkennbar ist. Das gilt vor allem für das Bild, das ein anderer Erfahrener von ihm gewinnt. Es geht dann gegenseitig nur noch um die praktische Gelebtheit der Erfahrung, unabhängig von theoretischem Wissen welcher Quellen auch immer. Zwar müssen die Grenzen des Intellekts auch im Zen ausgeschritten werden, doch kann man Zen eigentlich nicht kennen, lesen, lehren oder gelehrt bekommen.

Es zählt nur das gezeigte, gezeitigte, gelebte Vor-Bild, das zur je eigenen Erfahrungen führt. Auch wenn es ein weiter, ein sehr weiter Weg sein mag bis hin zum "Denken des Nicht-Denkens", es ist ein Weg, auf dem es kein Zurück gibt, sondern immer nur das Vorwärtsschreiten zählt. "Der Weg ist das Ziel", lernen wir schon bei Laotse, und: "Das Alltägliche ist der Weg".

Zen führt auf den weglosen Weg, auf dem allein man in die absolute Ausweglosigkeit eintreten kann. Daher erfährt man in der Raum-Zeit- und Zeichen-losen Leerheit von "Shunyata" (nach Nagarjuna) in "Sabishisa" die Abwesentheit von Dingen, die nie waren und uns doch aus unserem Denken heraus den Blick verstellen für die Erwartungslosigkeit der eigenen Erfahrung, die immer möglich ist.

Zen ist auch ein Weg, zurückzufinden "zu unserer ursprünglichen Natur, zu unserer Mondschein-Natur, zu unserer Kirschblüten-Blätter-Fall-Natur, zu unserer Schneeflocken-Schmilz-Natur, zu unserer Buddha-Natur" (zitiert nach Hungerleider). Zen führt zur Heimkehr, zur Einkehr im hauslosen Haus, in dem wir zu Hause sind – daheim im allgegenwärtigen Heim zeitlos gezeitigter, sich gezeigter Heimat, in der Wirklichkeit zeitfreier, raumübergreifender Lern-, Wirk- und Werkstatt des ewigen Jetzt. Alles Leben ist Zen, wie Nagaya sagt. Zen ist ein potenziert-potentieller Weg. Was ist das? Eine Lawine – aufwärts! Was bedeutet das? Zen führt direkt hinein in die Logik des Widersprüchlichen, die nur von innen heraus transzendiert werden kann und damit die Rätselhaftigkeit allen Seins erklärlich und erträglich macht.